(Un)gebremste Fleischeslust

Heute widme ich mich einem Thema, das mich schon länger beschäftigt. Es gibt gesellschaftliche Errungenschaften, die ein Leben in Genuss und Bequemlichkeit ermöglichen und repräsentativ für den Charakter unserer Gesellschaft stehen. Viele dieser Punkte – ob gerechtfertigt oder nicht – werden allmählich verpönter, so wie das genüssliche Rauchen einer Zigarette oder das Automobil eines bestimmten deutschen Herstellers. In diesem Artikel geht es jedoch nicht um die Mobilität jedes Einzelnen. Es gibt schließlich wichtigere Dinge als ein fahrbarer Untersatz. Ich finde es bedeutender über rudimentäre Bedürfnisse zu schreiben: Essen. Genauer: Fleisch!

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Das ist Substanz für den Freund carnivorer Essgewohnheiten. (Foto: pixabay.com)

 

Menschen mögen Fleisch. Ist doch okay!

Fleisch läuft auch gerade in die Gefahr seinen Ruf als leckeres Pendant zu einem mit Senf bestrichen Brötchen oder ein auf einem Rost mit heißer Glut verfeinertes Nonplusultra zu verlieren. Die Fallhöhe ist unermesslich und es ist an der Zeit klar zu machen, dass nicht Fleisch der Täter ist sondern die Köpfe, die das Produkt Fleisch in Verruf bringen. Es gibt viele Fleischskandale in den letzten Jahren; sei es der Dönerfleischskandal, als verdorbenes Fleisch unter falschem Label verkauft wurde oder die vielzählig aufgedeckten Tierschutzrechtsverletzungen aufgrund von Massentierhaltung auf vor allem großdimensionierten Bauernhöfen. All diese Fälle haben gemein, dass der kleine Fleischliebhaber sich zwischen verschiedenen Strategien entscheiden muss:

Typ konservativer Stammwähler: Er schließt bei jedem Bissen in sein saftiges Steak die Augen.

Typ Wechselwähler: Er nimmt bei ersten Unsicherheiten im Fleischgenuss gleich sportlich Anlauf und springt auf den schon leicht überfüllten Zug voller Vegetarier mit der leisen Hoffnung, sein Verlangen nach einem gewohnten Wiener Schnitzel und Partymettigel zu unterdrücken.

Dazwischen bleibt dem Homo carnivorus wenig Verhaltensfläche, denn was können wir aus der medialen Berichtslage lernen? – Wir nehmen die Extreme wahr, wenngleich es auch noch die 48 Grautöne zwischen den Extrembeispielen gibt. Fleisch essen ist immer noch salonfähig und es lohnt sich zu hinterfragen, wie unser Fleisch auf den Tisch kommt. Und hier möchte die Heinrich Böll Stiftung gemeinsam mit dem BUND für Umwelt & Natur mit dem jährlich erscheinenden Fleischatlas Licht ins Dunkelgrau bringen. Daher habe ich auch einen Blick in den Fleischatlas 2016 geworfen.

Der Fleischatlas 2016: Mehr Produktion von weniger Menschen

Im Fleischatlas 2016 wird nach Bundesländern unterschieden, welche Produktionsweisen jeweils vorherrschen. Es lohnt sich einen detaillierten Blick hinein zu werfen. Ich möchte kurz auf die bedeutendsten Erkenntnisse eingehen.

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(Foto: boell.de)

Die Tendenz in der Fleischproduktion: Die kleinen Betriebe verschwinden und die großen Mastbetriebe florieren. Vor allem in den Bundesländern Meklenburg-Vorpommern, Brandenburg, sowie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen finden sich die riesen Betriebe. Beispielsweise werden allein in Niedersachsen vier Millionen Mastschweine gehalten. Die riesigen Höfe mit eingepferchten Tieren sind jedoch politisch erwünscht. Die großen Tierhaltungsanlagen sind in der Bundesrepublik genehmigungspflichtig und die bestehenden somit politisch legitimiert. Es ist klar, dass die Länder und Landkreise sich von solchen Genehmigungen wirtschaftlich positive Effekte erwünschen.  Jedoch ist auch erkennbar, dass die Betriebe die Umgebung mit Schadstoffen belasten in Form von zu hohem Nitratausstoß, worunter das Grundwasser zu leiden hat. Außerdem werden dadurch auch die tierunwürdigen Bedingungen gefördert. Schließlich werden diese Betriebe ausschließlich als Wirtschaftsbetriebe geführt. Die Tiere sind dabei nur eine Ware, die auf ihre schnellstmögliche Verarbeitung wartet. Diese  Produzenten werden zudem mit EU-Förderungen begünstigt und bekommen einen Anreiz sich zu vergrößern, da die Agrar-Subventionen an die Größe der Flächen gekoppelt ist. Welcher Betrieb also über große Flächen verfügt, der erhält auch höhere Subventionen. Gleichzeitig werden auf den großen Flächen meist nur Monokulturen angebaut, was die Biodiversität und das Landschaftsbild negativ beeinträchtigen.

Die folgende Karte stellt dar, wo sich die großen Ställe in Deutschland befinden.

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Die Bereitschaft für artgerechte Entlohnung ist da!

Nun möchte ich meinen bösen Zeigefinger etwas senken und auch darauf hinweisen, dass wir unsere Gewohnheiten auch theoretisch bereit sind zu ändern. Laut einer Befragung im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sind fast 80% der Befragten dazu bereit mehr für Fleisch aus artgerechter Haltung auszugeben. In der rechten Grafik im Folgenden wird deutlich, dass 70 Prozent circa 50 Cent mehr für ein Kotelett auszugeben bereit sind, wenn es den Standards eines speziellen Labels für artgerechte Haltung (Tierwohl-Label) entspricht.

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Die Bereitschaft ist schon einmal gut. Aber wie sieht unsere Praxis aus?

Die Bereitschaft in der Praxis

Auch ich habe die Bereitschaft mehr beim Fleischkauf für Ware aus artgerechter Haltung auszugeben. Jedoch stehe ich täglich vor der Wahl. Lasst mich kurz meinen regelmäßigen Gang in den Supermarkt meines skeptischen Vertrauens nachzeichnen, dann zeigt sich die paradoxe Praxis, die ich gewöhnlich an den Tag lege:
Nach dem Eintritt in den Laden werde ich wie gewohnt vom makellosen Gemüse und Obst gebremst, da ich mich in dieser naturbelassensten Umgebung, die man in einer Großstadt wie Düsseldorf finden kann, wohlfühle. Aus der Naturecke arbeite ich mich ganz nach hinten zum Kühlfach, wo ich meine Lieblingsmilch finde.Alles Notwendige habe ich nun im Einkaufskorb: ein bisschen Grünzeug und Milch. Anschließend komme ich automatisch am nächsten Kühlregal vorbei, in dem sich das gekühlte Fleisch befindet. Dieses kann man grob in drei Bereiche unterteilen: 1.) Das argentinische Premium-Rumpsteak für rund 12 Euro, 2.) das Steak, die konventionelle Fleisch-Wurstware für einen niedrigen Preis, bei dem man einfach schmunzeln muss und 3.) das Bio-Fleisch zu stolzem Preis, um rund das doppelte als das konventionelle. Bei der Fleischwahl hadere ich des Öfteren. Bin ich bereit für glücklichere Kühe, Schweine mit Auslauf und Hühner, die Sonnenlicht sehen zu bezahlen?

Unser eigentliches Dilemma als Konsument ist: Wir haben einerseits die Wahl und andererseits haben wir auch keine Ahnung. – Noch! Denn wir haben die Möglichkeit, beides zu erlangen und zudem noch Fleisch, dass wir mit allen Sinnen genießen und mit ruhigerem Gewissen essen können. (Vorausgesetzt wir kommen damit klar, dass für unser Steak ein Tier geschlachtet wurde.) Ich möchte dazu ermutigen, dass wir mit offenen Augen und manchmal auch offenem Mund einkaufen sollten! Auf der Verpackung ist deklariert, woher das Fleisch stammt. Wenn es nicht explizit dabei steht, dann können wir nachforschen, woher das Fleisch kommt. Wir sollten mal die Möglichkeit nutzen nachzulesen, was auf der Verpackung steht und an der Fleischtheke auch nicht davor zurückschrecken, nachzufragen. Und ja diese Neugierde bedarf Energie und Einsatz. Nichtsdestoweniger können wir damit einen Unterschied machen und unsere „Bereitschaft“ mehr für artgerechte Haltung auszugeben auch anwenden. Wir können uns auch aktiv nach regionalem Fleisch erkundigen. Wir haben die Bereitschaft mit dem Geldbeutel zu handeln. Das ist der erste Schritt zu einem bewussten Fleischkonsum. Und das bringt mich zum dritten Typ: der mündige Fleischwähler.

In diesem Sinne: Lasst es Euch schmecken.

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Lohnt es sich den Grill zu starten ohne Fleisch? (Foto: pixabay.com)

 

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